Man baut ein Haus nicht auf einen matschigen Boden. Man fährt nicht Auto, nur weil man fast ohne Unfälle in GTA Auto fahren kann. Und zuletzt: man fliegt keinen Flieger nur weil man mal Flight Simulator gespielt hat. 😛

Das mögen alles sehr doofe Beispiele sein, aber schlussendlich haben sie alle ihre Wahrheit.

Ich bekomme oft von neuen Schülern gesagt, sie wollen diese eine Lied spielen können. Am liebsten nächste Woche weil sie da dieses Lied an einer Hochzeit spielen müssten.
Aber davor haben sie noch nie Gitarre gespielt und auch sonst keine Erfahrungen mit Instrumenten machen können.

Prinzipiell ist alles möglich. Wir die nötige Zeit dafür investiert und dementsprechend diszipliniert an die Sache rangegangen, wäre glaube ich jedes noch so unmögliche Ziel erreichbar.

Die andere Frage ist jedoch: Ist es Sinnvoll?

Beispiel mit zwei identischen Personen

Nehmen wir an, wir haben Zwillinge welche mit uns ein Experiment durchführen wollten.
Beide sehen exakt gleich aus, haben das genau gleiche Talent, die gleichen Fingerfertigkeiten. Beide üben genau gleich viel und erreichen die genau gleiche effizienz.
(Ich gehe mal davon aus, dass das bei Zwillingen nicht der Fall ist. Aber wir gehen jetzt mal davon aus).

Person 1 (einer der Zwillinge) möchte so schnell wie möglich sein Lieblingslied spielen können.
Person 2 will es von A-Z lernen. Mit allen Basics wohl verstanden.

Dies ist ein Gedankenexperiment. Also es sollte sich bitte niemand angegriffen fühlen. Schliesslich war Schrödingers Katze auch zu keinem Zeitpunkt beleidigt! 😛

Nach 1-3 Monaten

Person 1 kann sein Lied spielen. Mehr oder weniger. An einigen Stellen hapert es noch ein wenig.
Person 2 kann mühelos einfache Lieder mit Akkorden auf der Gitarre begleiten. Weiss welche Tonleiter er dazu spielen könnte und kann auch ein wenig die Melodie mitspielen.

Nach 3-6 Monaten

Person 1 kann sein Lied etwas besser spielen. Noch nicht perfekt, aber es ist mittlerweile auch möglich, mit der original Aufnahme mitzuspielen.
(Wäre dieses Experiment echt, würde Person 1 wohl dieses Lied nicht mehr hören können und hätte die Gitarre schon längstens in die Ecke gestellt).
Person 2 kann sogar schwierigere Lieder nachspielen. Ist in der Lage einfache Noten und einigermassen komplexe Tabs zu lesen und kann schon ganz anständig über das Lied improvisieren.

Nach 6-12 Monaten

Jetzt wird es langsam spannend! 🙂

Person 1 kann sein Lied durchspielen. Kann auf Youtube das Lied suchen und einfach mitspielen.
Person 2 lernt dieses Lied jetzt. Und zwar kann Person 2 dieses Lied innert kürzester Zeit lernen und mit der Aufnahme mitspielen.

Person 1 beschwert sich, dass das Lied, welches er seit einem Jahr lernt, nicht so gut und genau klingt wie bei Person 2. Das „gewisse etwas“ fehle.

Weshalb ist das so?

Das hat einen ganz einfachen Grund. Und zwar hat Person 2 innerhalb eines Jahres mehrere Rhythmen gespielt. Egal ob Strumming oder Fingerpicking, Tonleitern, Melodien oder einfach über Backing Tracks improvisiert. Während Person 1 einfach nur ein Lied gespielt hat und absolut keine Referenz zu anderen Liedern hat.

Person 2 hat diese Dinge viel mehr Intus als Person 1 und kann deshalb viel schneller neue Songs einüben.

Lied Nummer 2

Person 1 möchte jetzt mit einem zweiten Lied beginnen und dies genau gleich gut spielen können wie Lied 1.

Person 1 hat sehr wahrscheinlich nicht mehr genau so lange wie bei Lied 1. Der Grund ist; das Gehör, Taktgefühl, mit Aufnahmen mitspielen usw. wurde alles beim ersten Lied schon trainiert und muss nicht noch einmal gelernt werden. Wobei Rhythmen, Akkorde, usw. alles neu sein wird und komplett von Anfang angefangen werden muss.

Person 2 hingegen wird Lied 2 relativ schnell auf einem guten Level spielbereit haben, da Akkorde, Rhythmen und alle anderen Dinge wie zB. sogar Improvisation schon zu seinem „Alltag“ gehört.

Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung

Seit ich denken kann, spiele ich Gitarre. Ich mag mich noch gut an meine aller erste Lektion erinnern. Da war ich etwa 7 oder 8 Jahre alt.
Deshalb kann ich nicht aus eigener Erfahrung erzählen wie es ist, mit Gitarre zu beginnen.
Mehr zu diesem Beitrag hier: Bin ich zu alt um Gitarre zu lernen?

Was ich euch aber erzählen kann, ist mit einem anderen Beispiel, nämlich dem programmieren.

Als ich ca. 20 Jahre alt war, wollte ich programmieren lernen. Ich hatte schon immer gutes Technisches Verständnis, wusste zumindest wo ich am Computer rum-klicken musste, damit das passiert was ich wollte. So dachte ich, ich überspringe mal die Basics, die brauche ich ja nicht, wofür auch?
Metapher übrigens: Technisches Verständnis = Musikalisches Talent.

Ich kam ziemlich schnell auf die Welt. Nämlich wollte ich einen Bot programmieren. Anleitungen im Internet gibt es genügend dafür.
Welche der Anleitungen war aber nun richtig und welche erzählten einfach irgend einen Schrott?
Auch beim Gitarren lernen gibt es super Videos um zu lernen, aber auch einfach schlechte die dir falsche Techniken beibringen, welche du danach wieder mühsam ändern musst.

Und der wichtigste Punkt überhaupt war; ich wusste genau was ich schlussendlich wollte, aber ich hatte keine Ahnung nach was ich überhaupt suchen muss?
Woher weiss ein totaler Anfänger der Gitarre das er nach Strumming Pattern suchen muss, wenn er genau diesen Style spielen möchte?

Das sind so die Probleme, wenn man ohne Basics etwas einstudieren will.

Fazit

  • Spielt ihr ohne Basics, seid ihr schneller (aber schlechter) am Ziel.
  • Spielt ihr mit Basics, braucht ihr länger um diese zu lernen, seid danach aber viel schneller.
  • Spielt ihr ohne Basics, seid ihr wahrscheinlich für sehr lange Zeit auf Hilfe angewiesen. Egal ob Lehrer, Erklärungsvideos oder sonstige Hilfe.
  • Spielt ihr mit Basics, seid ihr nach einiger Zeit (diese Variiert von Schüler zu Schüler) absolut selbständig und könnt praktisch jedes Lied ohne fremde Hilfe einüben.
    Es klingt auch besser. Es klingt routinierter, da ihr schon alles mehrfach gespielt habt.

Schlussendlich ist es wie immer jedem selber überlassen, wie er oder sie vorgehen will. Ich versuche hier nur Tipps zu geben, für jene die beginnen wollen und sich nicht sicher sind, ob sie jetzt einfach mal ein Liedchen spielen, oder es doch gleich richtig lernen wollen.